„Möglichkeiten in Amerika viel größer"
Quelle: Westfälische Nachrichten vom Mittwoch, 11. Juli 1984
Vor der Europa-Reise Stippvisite in Ostbevern - Wiedersehen nach acht Jahren
J. Große Inkrott wanderte vor 20 Jahren aus
-mk- Ostbevern (Eig. Ber.). „Viele Leute sagen: In Amerika liegt das Geld auf der Straße“ - Josef Große Inkrott fügt allerdings noch einen Satz hinzu: „Man muß es aber auch aufheben.“ - Vor über 20 Jahren ist der gebürtige Ostbeverner ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ausgewandert. Die klischeehafte Karriere vom Tellerwäscher bis zum Großunternehmer trifft auf ihn fast zu. Mit dem Meisterbrief in der Tasche hatte sich der Autoschlosser 1964 in Californien selbständig gemacht, zwei Jahrzehnte später konnte er auf ein Unternehmen mit 50 Beschäftigten blicken: „Wer was kann, der kann hier was werden, der kann auch drüben was werden - nur drüben sind die Möglichkeiten, etwas anzufangen, bedeutend größer.“ Nach acht Jahren besuchten er und seine Familie jetzt wieder ihre Verwandten im Beverdorf - Ausgangspunkt einer großen Europareise: Ostbevern - London -Paris - Rom - Amsterdam...
Am Donnerstag vergangener Woche waren „Jo“ Große Inkrott, seine Frau Ria und seine vier Kinder in Frankfurt gelandet. Zu schaffen machte ihnen weniger die zwölfstündige Flugreise ab die Zeitenverschiebung.
An mehreren Rhein-Städten legten sie Station ein, bevor sie am Samstag Ostbevern erreichten. Gestern hieß es für die Familie aus Californien schon wieder Abschied nehmen von den Ostbeverner Inkrotts, bei denen sie in den vergangenen drei Tagen zu Gast waren. ‚„ Eigentlich wollte Josef Inkrott bei seinem älteren Bruder Karl nur auf eine Tasse Kaffee vorbeikommen. Doch der nutzte die seltene Gelegenheit, trommelte die ganze Verwandtschaft zusammen, um Wiedersehen mit dem „Auswanderer“ zu feiern. Die Überraschung für den „heimgekehrten“ Bruder war perfekt, als er das kleine Festzelt und den mit Fackeln ausgeschmückten Garten sah.
Natürlich hatte sich viel verändert - nicht nur das Dorf, „da ist ja viel gebaut worden, aber das ist Fortschritt“ - auch die Menschen. Viele Gesichter in der Verwandtschaft waren dem Wahl-Ame-rikaner noch fremd: „Ich müßte viel öfter kommen, um sie alle kennenzulernen.“
Doch mit seinen Geschwistern blieb Josef Große Inkrott in den vergangenen Jahren immer in Verbindung. Er telefoniere und schreibe sehr viel, meinte seine Schwägerin und: „Er vergißt keinen Geburtstag.“
Die Kontakte nach Deutschland haben trotz der großen Entfernung nicht gelitten, im Gegenteil: „Ich glaube, unsere Freundschaft ist stärker geworden“, meint Josef Große Inkrott, der mit seiner Familie in Upland, etwa 50 Kilometer von Los Angeles lebt. „Wenn man eine gute Verwandtschaft hat, dann ist das wirklich eine kleine Welt.“
Zurück nach Ostbevern möchte „Jo“ Große Inkrott allerdings nicht mehr: „Californien ist meine Heimat geworden. Ich habe mich dort so gut eingelebt, daß es mich nicht mehr nach Hause zieht.“
So ausschließlich kann dieses „nicht“ allerdings wohl nicht gemeint sein, sonst hätte er wohl kaum die Stippvisite in Ostbevern seiner großen Europa-Reise vorgeschaltet.
Der Weg von Josef Große Inkrott, dem sechsten Kind aus der neunköpfigen Schar der Inkrotts, führte nicht direkt in die Vereinigten Staaten. Im Mai 1955 entschloß der damals 23jährige Ostbeverner zwei Jahre als Autoschlosser in Australien zu arbeiten. Aus den vertragsmäßigen zwei Jahren wurden jedoch drei .Dann bewarb er sich bei den Volkswagenwerken um eine Stelle in Los Angeles, wo er weitere anderthalb Jahre arbeitete.
Erst nach fünf Jahren - Reisen nach Mexiko, durch die USA bis nach New York, nach England und Holland lagen dazwischen - kehrte er wieder nach Ostbevern zurück. - Vorerst, denn nach einsam Jahr zog es ihn wieder nach Südcalifornien. Doch dieses Jahr hatte er gut genutzt und seine Meisterprüfung gemacht. Zwei Jahre arbeitete er erst noch bei den Volkswagenwerken in abhängigem Verhältnis, dann, im Dezember 1964, wurde er sein eigener Herr. Zusammen mit einem Freund gründete er eine Kfz-Werkstatt und hatte später die Gelegenheit, eine Vertragswerkstatt für Mercedes zu übernehmen.
Im Jahr 1964 heiratete der heute 52jährige Ostbevener seine Frau Ria, die aus den Niederlanden stammt und ebenfalls ausgewandert war. Auch ihrer Verwandtschaft wird die Familie Große Inkrott aus Californien noch vor der Europareise einen Besuch abstatten. 1981 verkaufte „Jo“ Große Inkrott sein Unternehmen, unterrichtete seitdem auch zusammen mit seiner Frau ehrenamtlich in einer privaten Schule und beschäftigt sich heute mit Bau, Verkauf und Vermittlung von Häusern.
Da diese Tätigkeit mit recht viel Freiheit verbunden ist, kann er es sich mehr als früher leisten, mit Wohnmobil und Familie durch die Staaten zu reisen. Jetzt hat er eben auch die Zeit, eine solche Europareise zu unternehmen. Ein zeitliches Limit hat er jedoch gesetzt: „Zur Olympiade bin ich wieder zu Haus."
Was ihm an Amerika gefällt, ist das unkompliziertere Leben: „Dort wird nicht gefragt, wer biste, was machste - das war in Australien anders", erzählt er. „Die Freundlichkeit von Personen zählt, nicht was in der Tasche sitzt."